Rarität unter dem Stimmhammer: Daniel bei Hamburgs wohl einzigem Carl-Mand-Glockenflügel

Daniel musste beim Stimmen improvisieren: Wegen der besonderen Konstruktionsweise des Flügeldeckels hatte der Stimmhammer weniger Platz als ein einem üblichen Flügel mit seitlich aufklappbarem Deckel.

... und so sieht die "Glocke" von innen aus. Geschickt haben Anfang des 20. Jahrhunderts Carl Mands Flügelkonstrukteure den relativ geringen Platz ausgenutzt, um möglichst lange Saiten unterbringen zu können.

Philip Schrömbgens hört Tochter Alexandra zu, als sie den frisch gestimmten Glockenflügel zum ersten Mal ausprobiert.

Einen solchen Flügel sieht auch ein erfahrener Klavierstimmer wie Daniel nicht alle Tage:

Anfang Februar 2021 wurde er zu einem der seltenen, ab 1902 in der Koblenzer Hofpianoforte-Fabrik Carl Mand hergestellten Glockenflügel gerufen. Seinen Namen hat dieses besondere Modell wegen seines glockenförmigen, nur 1,48 Meter langen, symmetrischen Korpus  mit nach hinten zu öffnendem Deckel und rundem Resonanzboden.

 

Ein Familien-Erbstück, das laut seinem Besitzer Philip Schrömbgens früher in Düsseldorf im Haus seiner Großeltern stand.  Wie er bei der Durchsicht alter Familienunterlagen herausfand, hatte seine Großmutter den Glockenflügel 1914 als Zehnjährige von ihrem Adoptivater, einem vermögenden Notar, bekommen und darauf Klavierunterricht erhalten. 2008 zog der Glockenflügel mit Schrömbgens' Familie nach Hamburg um.

 

Das genaue Baujahr und die Zahl der damals gebauten Glockenflügel lässt sich nicht mehr ermitteln, weil die Herstellerfirma Carl Mand keine eigenen Seriennummern für dieses Flügelmodell vergeben hat. Da die Firma nur bis 1907 existierte, muss er jedoch aus den Jahren zwischen 1902 und 1907 stammen - also gut 110 Jahre alt sein. Die im Odenwald ansässigen Klavierbauer Jendrik und Jared Rothe, Inhaber von Rothe-Piano (www.rothe-piano.com), haben die Geschichte der Mand-Instrumente erforscht und sogar eine eigene Webseite dazu erstellt (www.carl-mand.de). Sie schätzen, dass insgesamt nur zwischen etwa 70 und 100 Glockenflügel gebaut wurden. Da sie überwiegend in Privatbesitz sein dürften, weiß niemand, wie viele Exemplare heute noch existieren. "Ich gehe davon aus, dass es in Hamburg nur diesen einen gibt", sagt Schrömbgens.

 

Die "Zeitschrift für Instrumentenbau" schrieb in ihrer Ausgabe 1902/1903 über die glockenförmige Bausweise: "Die hierdurch erzielte Einwirkung auf den Ton soll, wie man uns mitteilt, eine außerordentlich günstige sein, so daß das Instrument in klanglicher Beziehung einem Salon- oder Stutzflügel von weit größeren Dimensionen gleichkommt." Und weiter: "Man sieht hier, wie durch die sinnreiche Verteilung der Stege, trotz der Kürze des Instrumentes, eine beträchtliche Saitenlänge erzielt wird."

 

Da mit zunehmender Saitenlänge in der Regel auch der Klang eines Flügels besser wird, versprach sich Mand von seiner Erfindung wohl vor allem eine klangliche Verbesserung. Ganz zufrieden war er damit wahrscheinlich aber noch nicht, denn nur zwei Jahre später brachte die Firma ihren spitz zulaufenden Eck-Glockenflügel (Abbildung unten) auf den Markt, der Platz sparend in jede Raumecke gestellt werden konnte und mit noch etwas längeren Saiten  das sonst übliche Manko kurzer Instrumente beheben sollte, wie die "Zeitschrift fürt Instrumentenbau" 1904/1905 schrieb:

 

"Nun ist es in Fachkreisen längst bekannt, daß naturgemäß diesen kurzen und überkurzen Flügeln die sonore Breite der Bässe fehlt, wenn auch dem Glockenflügel eine Mittellage und Höhe von großer Tonschönheit gegeben ist. Diesem Mangel in der Baßpartie, der seine natürliche Erklärung in der Kürze der Baßsaiten findet, da dieselben nicht länger sind wie bei einem nur 1,20 m hohen Pianino, und den ja mancher Klavierspieler in Kauf nimmt, um den heute modernen Flügel plazieren zu können, hat Carl Mand durch den heute erfundenen und patentierten Eckflügel in glücklicher Weise abgeholfen."

 

Besitzer Philip Schrömbgens jedenfalls liebt den Klang seines Glockenflügels. Zwar spielt er selbst nicht Klavier, aber seine Tochter Alexandra und seine Frau setzen sich regelmäßig an den Flügel. "Ich freue mich immer, wenn jemand darauf spielt", sagt Schrömbgens, "ich mag diesen besonderen, weichen Ton!" Alexandra durfte das frisch gestimmte Instrument als erste ausprobieren - und strahlte nach den ersten Tönen genauso wie ihr Papa. "Den Unterschied hört man sofort!", sagten beide zufrieden.

 

Sein Alter kann man dem Instrument hier und da ansehen - diverse Umzüge und die lange Lebenszeit haben auf dem Lack ihre Spuren hinterlassen. Doch das stört in der Familie niemanden. "Das ist doch normal bei so einem alten Stück", meint Schrömbgens. Das Innenleben - davon konnte sich auch Daniel überzeugen - ist nach einer Überholung in den 90er Jahren jedenfalls noch gut in Schuss.

 

Die Pianofortefabrik Carl Mand war Anfang des 20. Jahrhunderts  hoch angesehen und erfolgreich. Auf internationalen Ausstellungen wurden ihre Instrumente mit rund zwei Dutzend ersten Preisen ausgezeichnet. 1907, ein Jahr nach dem Tod Carl Mands, ging die Firma in der "Rheinischen Pianofortefabriken AG Koblenz" auf. Die Produktion der Glockenflügel wurde daraufhin eingestellt. Ein Grund mehr für Familie Schrömbgens, ihr seltenes Exemplar auch in Zukunft in Ehren zu halten.

(Text: Nicola Schmahl)

 

 

Download
Spontane Handyaufnahme nach dem ersten Stimmen...
Klangprobe.mp3
MP3 Audio Datei 597.1 KB

(Historische Abbildungen aus der "Zeitschrift für Instrumentenbau", mit freundlicher Genehmigung von Rothe-Piano, Lautertal.

Übrige Fotos: elbstimmer, Hamburg)